Dienstag, 6. November 2012

Izmir III: Der redselige Schlepper // The talkative trafficker

English version: see below

Der „Pascha-Palast“ ist eine heruntergekommene Absteige, in der sich Flüchtlinge und arme Reisende die Klinke in die Hand geben. Man trifft auf eritreische Kindersoldatinnen, paschtunische Talibangegner, entkommene Sklaven, syrisch-kurdische Intellektuelle – und ab und zu verirrt sich auch mal der ein oder andere westliche Journalist hierher. Die Bediensteten reichen einen cay, falls auf einem der abgesessenen Polstermöbel in der Lobby Platz genommen wird. Sobald ein Gast sitzt, gesellen sich schnell andere hinzu und ein Gespräch beginnt. Während sich drei afrikanische Männer lauthals in ihrem Zimmer im ersten Stock streiten, starrt ein kahlgeschorener Afghane auf die Nachrichten im türkischen Fernsehen.

Hismet schaut wie jeden Tag auch heute auf seinem Morgenspaziergang durch den Stadtteil Basmane im Pascha-Palast vorbei. Hismet ist Menschenschlepper. Erst vor einem Monat wurde er nach zwei Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, er war im Vorfeld eines geplanten Boots-Transfers festgenommen worden. Die erhöhten Strafen für Menschenschmuggel in der Türkei ärgern ihn zwar, doch halten sie ihn nicht davon ab, weiter nach potentiellen Kunden Ausschau zu halten. "Frischfleisch", denkt er sich, als sein Blick auf Abru fällt, einen jungen Palästinenser, der sich gerade auf einen der plüschroten Sessel gefläzt hat und auf den ersten Tee des Tages wartet.

Wie gewohnt geht Hismets Gang als erstes nach hinten ins nobel ausgestatte Büro des Hotelbesitzer Yilmaz. Der großgewachsene, dicke Mann mit stattlichem Bart legt seinen mit einer osmanischen Kalligraphie versehenen Arm um den Neuankömmling und bringt ihn nach ein paar Worten zurück in die Lobby, wo er mit einem leichtem Kopfnicken zwei cay herbeikommen lässt. Unauffällig blickt Hismet hinüber zu Abru. Yilmaz gibt ihm mit einem kurzen Augenzwinkern zu verstehen, dass jener auf der Suche nach einem Boot sei. Ein leichtes Lächeln huscht über Hismets Gesicht als er aufsteht und sich mit leichter Verbeugung und warmem Händedruck vorstellt. Er fackelt nicht lange und sagt auf arabisch, dass er "Schmuggler" sei und Abru gerne auf einen Tee einladen wolle. Dieser sagt erfreut zu. 

Potentielle Kunden für Hismet gibt es in Izmir genug // There is no lack of customers for Hismet's business in Izmir

Auf dem Platz vor der Hatuniye Moschee herrscht munteres Treiben. Vereinzelt sitzen alte Männer auf den Parkbänken und starren Löcher in die Luft. Der irre Hüseyin läuft klatschend und jubelnd die Marktstraße hinab und wirft einer am Bordsteinrand kauernden syrischen Familie fünf Lira vor die Füße. Im Vorbeigehen steckt Hismet dem kranken Kurtulus eine Zigarette hin, die dieser mit seinen verwundeten Händen in den Mund schiebt und sich zittrig anstecken lässt - mit dem Ausatmen haucht er ein schwaches tesekürler hervor. Basmane ist voll von gezeichneten Menschen. Im Karadeniz Kiraathanesi sitzen bereits Hismets Handlanger Murat und Kemal. Abru ist nervös, als er die beiden anderen sieht und greift dennoch bereitwillig zu, als Hismet ihm eine Bensons anbietet.

„Du willst also nach Europa?“, fragt der etwas knöchrige Kemal geradeheraus. „Ja, nach Frankfurt, will ich, in Deutschland. Da hab ich mal studiert und dahin will ich wieder zurück“, antwortet Abru und fügt zögernd hinzu: „Eigentlich wollte ich oben in Griechenland über den Evros, aber meinem Kumpel Masar wurde dort vor ein paar Wochen von einem Hund das Gesicht zerbissen. Vielleicht ist es mit dem Boot doch leichter.“ Murat, der gar nicht richtig zugehört hat, sagt seinen Standardsatz: „Der Spaß kostet Dich 1000 Dollar. Keine Verhandlungsbasis. Wir bringen Dich auf eine griechische Insel und Basta. Die Hälfte zahlst Du vorab, den Rest bei Ankunft. Tamam?“ – Abru wirft die noch nicht ganz abgebrannte Zigarette wahllos auf den Boden und nippt an seinem Glas Tee. „Ich zahle erst dann, wenn ich meinen Fuß auf europäischen Boden gesetzt habe.“

Jetzt ist Hismet dran, ein Machtwort muss her: „Hör mal zu, Bruder. Wir müssen schließlich auch den Bootskapitän zahlen und ein Boot leihen. Glaubst Du etwa, das bezahlt sich von selbst? Junge, ich bin gerade erst aus dem Knast raus und glaub mir, ich nehm kein Geld mehr in die Hand für arme Schlucker.“ Abru legt eine Lira-Münze auf den Tisch und steht auf: „Ich überlegs mir!“ Die drei Schlepper grinsen sich zu, als der junge Mann sich auf den Rückweg zum Hotel macht. „Der weiß wohl noch nix von dem gesunken Boot mit den Syrern“, raunt Kemal in die Runde.

Vor zwei Wochen ist ein Boot gerade mal 50 Meter von der griechischen Grenze auf Grund gelaufen und gesunken, dabei sind etwa 60 der 100 Insassen zu Tode gekommen. Weil sie nicht schwimmen konnten oder unter Deck eingesperrt waren. Seitdem ist der Umsatz von Hismet stark nach unten gegangen, auch die türkische Polizei patrouilliert seitdem verstärkt. „Langsam muss Kohle her, meine Frau macht langsam schon Druck zuhause. Die drei Schwarzen sind auf jeden Fall dabei. Die zahlen zwar erst am Ende – aber die haben die Asche, das weiß ich.“ Er wendet sich an den schmächtigen Kemal mit dem sauber gebügelten Hemd. „Kemal, fahr morgen bitte runter zum Hafen und red mit dem Kapitän, ob der auch schon mit der Hälfte vorab leben kann. Dieser Halsabschneider will ja tatsächlich 15.000 Dollar für Boot und Kapitän. Versuch ihn auf 12.000 runterzuhandeln. Sonst bleibt ja kaum mehr was für uns übrig. Sag ihm das ruhig. Ich geh doch für 2.000 Dollar nicht weitere drei bis acht Jahre in den Bau!“

Wütend steht der stämmige Mann mit dem dichten Dreitagebart auf und ignoriert geflissentlich, dass der kleine Hocker rücklinks umfällt. Er drückt dem Kellner fünf Lira in die Hand und setzt sich gedankenverloren in Richtung Moschee ab. Zeit zum Beten. Der Muezzin fängt an zu rufen, als Hismet sich die Schuhe auszieht und mit der rituellen Waschung beginnt.

Essensausgabe an syrische Flüchtlinge // Food bank for syrian refugees

The Pasha Palace is a scruffy fleabag where refugees and poor travellers flock together. You can find here Eritrean child soldiers, Pashtun rebels, Darfuri slaves and Kurdish-Syrian intellectuals, occasionally one or two western journalists as well. The employees bring a cay, if one sits down on one of the worn-out couches in the lobby. Once sitting and drinking, others join in no time and, usually, a vivid conversation starts. As three black African men argue loudly in their room upstairs, a bald-headed Afghan stares at the news in Turkish television.

As every day, Hismet is on his morning walk through the quarter Basmane and drops in at the Pasha Palace's. He is a human trafficker. Just one month ago, he was released from jail after two years of prison; he had been captured in the run-up to a planned refugee boat transfer. The increased penalties for human trafficking in Turkey bother him, yet still they don't keep him from looking for prospective clients. “Fresh meat” he thinks, as he sees Abru, a young Palestinian lolling on the worn-out red couch in the lobby, waiting for the first tea of the day.

As usual, Hismet's first steps in the hotel lead him into the rather luxuriously furnished office of the hotel owner, Yilmaz. The tall and bulky Turk with a stately moustache puts his arm, which is decorated with a Osman calligraphy, around the new arrival and after some words takes him back to the lobby, where he orders two cay with a subtle nodd of his head. Hismet looks unobtrusively at Abru and Yilmaz signifies him with a slight twinkle of his eye that the Afghan would be looking for a boat. A barely noticeable smile spreads on Hismet's face as he rises and introduced himself with a warm hand shake. Not vacillating, he says in Arabic that he is a “Smuggler” and would like to invite Abru for a tea outside. The young Afghan agrees with pleasure.

On the square in front of the Hatuniye mosque there's vivid coming and going. Every now and there some old men sit on benches in the park and stare off into space. The crazy Hüseyin runs down the market street, throwing five Lira at a Syrian family cowering against the curb, while he is clapping and cheering. As Hismet walks past the sick Kurtulus and offers him a cigarette, the latter puts it to his mouth with wounded fingers, looking up to Hismet, tremulously and without words asking for a lighter. Breathing out the first puff of smoke, he is uttering a feint teshekürler, “thanks”. Basmane is full of these worn-out persons marked by life. In Karadeniz Kirathanesi, Hismet's helpers Murat and Kemal are already waiting. Seeing them, at first Abru gets nervous, but then he takes the offered Benson's. 



“So you want to get to Europe?” the boney Kemal asks rightaway. “Yes, I want to go to Frankfurt, in Germany. I once studied there and I want to go back there”, Abru answers and adds with a slight hesitation: “I was planning on crossing the Evros river at the border to Greece, but a buddy of mine had his whole face bitten by dogs there, some weeks ago. So perhaps it is easier with a boat?” Murat, who hadn't really followed what Ebru was saying, answers with his standard response: “It's 1000 Dollar. No bargaining. We just take you to a Greek island and nothing else. Half the money you pay in advance and half when you get there. Tamam?” – Abru snips the half smoked cigarette to the ground and takes a sip from his tea glass. “I won't pay before I reach European territory.”

Now it's Hismet's turn to put his foot down. “Listen closely, brother. We have to pay for boat and crew. Do you think they pop out of thin air? Boy, I was just released from jail and you can believe me, I am not going to pay for poor dreamer's bills!” Abru puts a Lira coin on the table and rises. “I will consider it.” The three traffickers smile at each other, as the young man walks back to the hotel. “Obviously he hasn't heard yet of the sunken boat with the Syrians”, Kemal whispers.

Two weeks ago, a fishing boat run onto ground barely 50 metres away from the Greek shores, it sank. About 60 of the 100 passengers died, either because they couldn't swim or because they were locked under deck. Since that day, Hismet's business went down the river, Turkish police is also increasedly patrouilling the area now. “I need the money soon. My wife complains everyday. The three Africans are in, and they got the bucks, I know, although they will pay only in case of success.” He turns towards the slim Kemal with the clean and ironed shirt. “Kemal, please drive down to the harbour tomorrow and talk to the Captain. Maybe he can live with only half in advance? This cutthroat really wants 15 000 dollars for boat and crew, so try to bargain for 12 000, otherwise there will be nothing left for us. You can tell him that! I won't risk another two to eight years of prison just for some 2 000 dollars!”

The bulky man with a thin beard rises angrily, stately ignoring that the stool he was sitting on is falling backward onto the street. Throwing five Lira into the servant's hand, he walks away towards the mosque, absorbed in thoughts. Prayer time. The muezzin begins to call, as Hismet takes off his shoes and starts the ritual washing.

2 Kommentare:

  1. Ich hoffe sehr, dass es durch öffentlich machen vielleicht doch noch zu einer Hilfe für das Kind kommt. Natürlich kann man nicht die ganze Welt retten, aber in einem Einzelfall könnte man doch tätig werden. Besser als nur rumgeklagt, dass alles so furchtbar ist.

    AntwortenLöschen
  2. Danke. Ich habe leider nichts mehr von Loran und seiner Familie gehört, sie haben mir nicht gemailt... :-(

    AntwortenLöschen