English version: see below
Der „Pascha-Palast“ ist eine
heruntergekommene Absteige, in der sich Flüchtlinge und arme
Reisende die Klinke in die Hand geben. Man trifft auf eritreische
Kindersoldatinnen, paschtunische Talibangegner, entkommene Sklaven,
syrisch-kurdische Intellektuelle – und ab und zu verirrt sich auch
mal der ein oder andere westliche Journalist hierher. Die
Bediensteten reichen einen cay, falls auf einem der
abgesessenen Polstermöbel in der Lobby Platz genommen wird. Sobald
ein Gast sitzt, gesellen sich schnell andere hinzu und ein Gespräch
beginnt. Während sich drei afrikanische Männer lauthals in ihrem
Zimmer im ersten Stock streiten, starrt ein kahlgeschorener Afghane
auf die Nachrichten im türkischen Fernsehen.
Hismet schaut wie jeden Tag auch heute
auf seinem Morgenspaziergang durch den Stadtteil Basmane im
Pascha-Palast vorbei. Hismet ist Menschenschlepper. Erst vor einem
Monat wurde er nach zwei Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, er
war im Vorfeld eines geplanten Boots-Transfers festgenommen worden.
Die erhöhten Strafen für Menschenschmuggel in der Türkei ärgern
ihn zwar, doch halten sie ihn nicht davon ab, weiter nach
potentiellen Kunden Ausschau zu halten. "Frischfleisch",
denkt er sich, als sein Blick auf Abru fällt, einen jungen
Palästinenser, der sich gerade auf einen der plüschroten Sessel
gefläzt hat und auf den ersten Tee des Tages wartet.
Wie gewohnt geht Hismets Gang als
erstes nach hinten ins nobel ausgestatte Büro des Hotelbesitzer Yilmaz. Der großgewachsene, dicke Mann mit stattlichem Bart legt
seinen mit einer osmanischen Kalligraphie versehenen Arm um den
Neuankömmling und bringt ihn nach ein paar Worten zurück in die
Lobby, wo er mit einem leichtem Kopfnicken zwei cay
herbeikommen lässt. Unauffällig blickt Hismet hinüber zu Abru. Yilmaz gibt ihm mit einem kurzen Augenzwinkern zu verstehen, dass
jener auf der Suche nach einem Boot sei. Ein leichtes Lächeln huscht
über Hismets Gesicht als er aufsteht und sich mit leichter
Verbeugung und warmem Händedruck vorstellt. Er fackelt nicht lange
und sagt auf arabisch, dass er "Schmuggler" sei und Abru
gerne auf einen Tee einladen wolle. Dieser sagt erfreut zu.
Potentielle Kunden für Hismet gibt es in Izmir genug // There is no lack of customers for Hismet's business in Izmir |
Auf dem Platz vor der Hatuniye Moschee
herrscht munteres Treiben. Vereinzelt sitzen alte Männer auf den
Parkbänken und starren Löcher in die Luft. Der irre Hüseyin läuft
klatschend und jubelnd die Marktstraße hinab und wirft einer am
Bordsteinrand kauernden syrischen Familie fünf Lira vor die Füße.
Im Vorbeigehen steckt Hismet dem kranken Kurtulus eine Zigarette hin,
die dieser mit seinen verwundeten Händen in den Mund schiebt und
sich zittrig anstecken lässt - mit dem Ausatmen haucht er ein
schwaches tesekürler hervor. Basmane ist voll von
gezeichneten Menschen. Im Karadeniz Kiraathanesi sitzen bereits
Hismets Handlanger Murat und Kemal. Abru ist nervös, als er die
beiden anderen sieht und greift dennoch bereitwillig zu, als Hismet
ihm eine Bensons anbietet.
„Du willst also nach Europa?“,
fragt der etwas knöchrige Kemal geradeheraus. „Ja, nach Frankfurt,
will ich, in Deutschland. Da hab ich mal studiert und dahin will ich
wieder zurück“, antwortet Abru und fügt zögernd hinzu:
„Eigentlich wollte ich oben in Griechenland über den Evros, aber
meinem Kumpel Masar wurde dort vor ein paar Wochen von einem Hund das
Gesicht zerbissen. Vielleicht ist es mit dem Boot doch leichter.“
Murat, der gar nicht richtig zugehört hat, sagt seinen Standardsatz:
„Der Spaß kostet Dich 1000 Dollar. Keine Verhandlungsbasis. Wir
bringen Dich auf eine griechische Insel und Basta. Die Hälfte zahlst
Du vorab, den Rest bei Ankunft. Tamam?“ – Abru wirft die noch
nicht ganz abgebrannte Zigarette wahllos auf den Boden und nippt an
seinem Glas Tee. „Ich zahle erst dann, wenn ich meinen Fuß auf
europäischen Boden gesetzt habe.“
Jetzt ist Hismet dran, ein Machtwort
muss her: „Hör mal zu, Bruder. Wir müssen schließlich auch den
Bootskapitän zahlen und ein Boot leihen. Glaubst Du etwa, das
bezahlt sich von selbst? Junge, ich bin gerade erst aus dem Knast
raus und glaub mir, ich nehm kein Geld mehr in die Hand für arme
Schlucker.“ Abru legt eine Lira-Münze auf den Tisch und steht auf:
„Ich überlegs mir!“ Die drei Schlepper grinsen sich zu, als der
junge Mann sich auf den Rückweg zum Hotel macht. „Der weiß wohl
noch nix von dem gesunken Boot mit den Syrern“, raunt Kemal in die
Runde.
Vor zwei Wochen ist ein Boot gerade mal
50 Meter von der griechischen Grenze auf Grund gelaufen und gesunken,
dabei sind etwa 60 der 100 Insassen zu Tode gekommen. Weil sie nicht
schwimmen konnten oder unter Deck eingesperrt waren. Seitdem ist der
Umsatz von Hismet stark nach unten gegangen, auch die türkische
Polizei patrouilliert seitdem verstärkt. „Langsam muss Kohle her,
meine Frau macht langsam schon Druck zuhause. Die drei Schwarzen sind
auf jeden Fall dabei. Die zahlen zwar erst am Ende – aber die haben
die Asche, das weiß ich.“ Er wendet sich an den schmächtigen
Kemal mit dem sauber gebügelten Hemd. „Kemal,
fahr morgen bitte runter zum Hafen und red mit dem Kapitän,
ob der auch schon mit der Hälfte vorab leben kann. Dieser
Halsabschneider will ja tatsächlich 15.000 Dollar für Boot und
Kapitän. Versuch ihn auf 12.000 runterzuhandeln. Sonst bleibt ja
kaum mehr was für uns übrig. Sag ihm das ruhig. Ich geh doch für
2.000 Dollar nicht weitere drei bis acht Jahre in den Bau!“
Wütend steht der stämmige Mann mit
dem dichten Dreitagebart auf und ignoriert geflissentlich, dass der
kleine Hocker rücklinks umfällt. Er drückt dem Kellner fünf Lira
in die Hand und setzt sich gedankenverloren in Richtung Moschee ab.
Zeit zum Beten. Der Muezzin fängt an zu rufen, als Hismet sich die
Schuhe auszieht und mit der rituellen Waschung beginnt.
Essensausgabe an syrische Flüchtlinge // Food bank for syrian refugees |
The Pasha Palace is a scruffy fleabag
where refugees and poor travellers flock together. You can find here
Eritrean child soldiers, Pashtun rebels, Darfuri slaves and
Kurdish-Syrian intellectuals, occasionally one or two western
journalists as well. The employees bring a cay, if one sits
down on one of the worn-out couches in the lobby. Once sitting and
drinking, others join in no time and, usually, a vivid conversation
starts. As three black African men argue loudly in their room
upstairs, a bald-headed Afghan stares at the news in Turkish
television.
As every day, Hismet is on
his morning walk through the quarter Basmane and drops in at the
Pasha Palace's. He is a human trafficker. Just one month ago, he was
released from jail after two years of prison; he had been captured in
the run-up to a planned refugee boat transfer. The increased
penalties for human trafficking in Turkey bother him, yet still they
don't keep him from looking for prospective clients. “Fresh meat”
he thinks, as he sees Abru, a young Palestinian lolling on the
worn-out red couch in the lobby, waiting for the first tea of the
day.
As usual, Hismet's first
steps in the hotel lead him into the rather luxuriously furnished
office of the hotel owner, Yilmaz. The tall and bulky Turk with a
stately moustache puts his arm, which is decorated with a Osman
calligraphy, around the new arrival and after some words takes him
back to the lobby, where he orders two cay with a subtle nodd of his
head. Hismet looks unobtrusively at Abru and Yilmaz signifies him
with a slight twinkle of his eye that the Afghan would be looking for
a boat. A barely noticeable smile spreads on Hismet's face as he
rises and introduced himself with a warm hand shake. Not vacillating,
he says in Arabic that he is a “Smuggler” and would like to
invite Abru for a tea outside. The young Afghan agrees with pleasure.
On the square in front of
the Hatuniye mosque there's vivid coming and going. Every now and
there some old men sit on benches in the park and stare off into
space. The crazy Hüseyin runs down the market street, throwing five
Lira at a Syrian family cowering against the curb, while he is
clapping and cheering. As Hismet walks past the sick Kurtulus and
offers him a cigarette, the latter puts it to his mouth with wounded
fingers, looking up to Hismet, tremulously and without words asking
for a lighter. Breathing out the first puff of smoke, he is uttering
a feint teshekürler,
“thanks”. Basmane is full of these worn-out persons marked
by life. In Karadeniz Kirathanesi, Hismet's helpers
Murat and Kemal are already waiting. Seeing them, at first Abru gets
nervous, but then he takes the offered Benson's.
“So you want to get to
Europe?” the boney
Kemal asks rightaway. “Yes, I want to go to Frankfurt, in Germany.
I once studied there and I want to go back there”, Abru answers and
adds with a slight hesitation: “I was planning on crossing the
Evros river at the border to Greece, but a buddy of mine had his
whole face bitten by dogs there, some weeks ago. So perhaps it is
easier with a boat?” Murat, who hadn't really followed what Ebru
was saying, answers with his standard response: “It's 1000 Dollar.
No bargaining. We just take you to a Greek island and nothing else.
Half the money you pay in advance and half when you get there.
Tamam?” – Abru snips
the half smoked cigarette to the ground and takes a sip from his tea
glass. “I won't pay before I reach European territory.”
Now it's Hismet's turn to
put his foot down. “Listen
closely, brother. We have to pay for boat and crew. Do you think they
pop out of thin air? Boy, I was just released from jail and you can
believe me, I am not going to pay for poor dreamer's bills!” Abru
puts a Lira coin on the table and rises. “I will consider it.”
The three traffickers smile at each other, as the young man walks
back to the hotel. “Obviously he hasn't heard yet of the sunken
boat with the Syrians”, Kemal whispers.
Two weeks ago, a fishing
boat run onto ground barely 50 metres
away from the Greek shores, it sank. About 60 of the 100 passengers
died, either because they couldn't swim or because they were locked
under deck. Since that day, Hismet's business went down the river,
Turkish police is also increasedly patrouilling the area now. “I
need the money soon. My wife complains everyday. The three Africans
are in, and they got the bucks, I know, although they will pay only
in case of success.” He turns towards the slim
Kemal with the clean and ironed shirt. “Kemal, please drive
down to the harbour tomorrow and talk to the Captain. Maybe he can
live with only half in advance? This cutthroat
really wants 15 000 dollars for boat and crew, so try to bargain for
12 000, otherwise there will be nothing left for us. You can tell him
that! I won't risk another two to eight years of prison just for some
2 000 dollars!”
The
bulky man with a thin beard rises angrily, stately ignoring that the
stool he was sitting on is falling backward onto the street. Throwing
five Lira into the servant's hand, he walks away towards the mosque,
absorbed in thoughts. Prayer time. The muezzin begins to call, as
Hismet takes off his shoes and starts the ritual washing.
Ich hoffe sehr, dass es durch öffentlich machen vielleicht doch noch zu einer Hilfe für das Kind kommt. Natürlich kann man nicht die ganze Welt retten, aber in einem Einzelfall könnte man doch tätig werden. Besser als nur rumgeklagt, dass alles so furchtbar ist.
AntwortenLöschenDanke. Ich habe leider nichts mehr von Loran und seiner Familie gehört, sie haben mir nicht gemailt... :-(
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