Freitag, 2. November 2012

Izmir II: Der einsame Darfuri // The lonely Darfuri

English version: see below.

Die Eltern von Ahmad und Azed Alyias lebten und arbeiteten, ebenso wie ihre Eltern und Großeltern, in einer Familie von Viehbauern unweit des kleinen Wüstenstädtchens Kutum, etwa 40 Minuten nordwestlich der 280.000-Menschen-Metropole Al-Fashir im südwestlichen Sudan gelegen. Schon seit Jahrtausenden war diese Region – wir kennen sie heute unter dem Namen Darfur – eine wichtige Basis für pharaonisch-ägyptische, islamisch-arabische und später ottomanisch-türkische Sklavenhändler: Sie kauften Menschen, die in Konflikten zwischen lokalen Siedlungen und Stämmen in Gefangenschaft und damit in Leibeigenschaft geraten waren – oder raubten sie einfach direkt aus ihren Siedlungen und von ihren Feldern. Seit vielen Generationen leben die Menschen hier daher in ständiger Angst, von heute auf morgen ihre Freiheit verlieren und für den Rest ihres Leben weit weg verkauft werden zu können.

Durch den massenhaften Sklavenexport, der auch im 20. Jahrhundert unter britischen, belgischen, französischen und ägyptischen Besatzern weitergeführt wurde, hat diese Angst bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Nicht nur, weil es auch im 21. Jahrhundert und bis heute immer wieder sowohl zu gezielten Sklavenjagden als auch zu Versklavungen unterlegener Kriegsgegner kam und kommt, sondern vor allem auch wegen der anhaltenden Separationskämpfe, die immense Flüchtlingsbewegungen verursachen. Sudan, Südsudan sowie die Bürgerkriegsregion Darfur gelten nach Angaben des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf als die Region mit den meisten Binnenvertriebenen weltweit; gleichzeitig tauchen immer wieder Beweise auf, dass die Sklaverei in der Region nach wie vor boomt, obwohl die jeweiligen Regierungen sich gegen diese Behauptung schärfstens verwehren. Auch nach dem Waffenstillstand zwischen Sudan und Südsudan von 2005 tobt in der Region Darfur bis heute ein mit höchst brutalen und menschenverachtenden Mitteln geführter Bürgerkrieg, der viele Menschen aus ihrer Heimat vertreibt, im verzweifelten Versuch, ihr nacktes Leben zu retten.

Der Park in Basmane. Ein Obdachloser hat seine Habseligkeiten an den Baum gehängt. // A central square in Basmane. A homeless person put her belongings up on a tree.

Ahmad Alyias ist einer dieser Menschen. Bereits als Jugendlicher in eine der Bürgerkriegsarmeen zwangsrekrutiert, wagte der gebürtige Darfuri es vor knapp anderthalb Jahren, sich unter Lebensgefahr erst nach Ägypten und dann mit Hilfe von Menschenschleppern weiter Richtung Norden in die Türkei abzusetzen. Ich treffe ihn in einem billigen Hotel in Izmir, einer Millionenstadt an der türkischen Ägäis, von wo aus zehntausende Flüchtlinge auf den Absprung nach Europa warten. Zusammen mit meinem Kollegen Michael Kolain bin ich hierher gekommen, um Flüchtlinge zu treffen – wir recherchieren im Rahmen eines investigativjournalistischen Projekt die Wege syrischer Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Eine ortsansässige Flüchtlingsorganisation, mit der wir noch am Morgen gesprochen hatten, hatte uns den Tipp gegeben, einen Blick in die heruntergekommenen Hotels rings um die Moschee des Armenviertels Basmane zu werfen, wenn wir mit Flüchtlingen sprechen wollten.

Neben seiner Muttersprache Dinka spricht Ahmad fließend Arabisch und ein paar Brocken Englisch. Ein Studium in Finnland, das ist sein Ziel, aber um das zu erreichen, muss er dort erstmal unbemerkt ankommen, Asyl beantragen und bewilligt erhalten. "England, Germany, good," sagt er, "student in Finland, best." Einen wirklich detaillierten Plan hat der etwa 30jährige nicht, nur einen Bruder Azed in Deutschland und den nächsten Schritt direkt vor Augen: Die Ägäis zu überqueren, um von dort aufs griechische Festland und weiter nach Nordeuropa zu kommen. "But going Europe, very dangerous. Boat dangerous. No swim. Good friend dead last week." Letzte Woche sei ein Boot gesunken, etwa 60 Flüchtlinge seien dabei ums Leben gekommen, unter ihnen ein guter Freund, mit dem er aus dem Sudan bis hierher gekommen sei.

Im Sudan war die Familie Alyias nicht arm. Als Angehörige der Dinka-Ethnie gehörten sie nicht zu den Hauptopfern der häufigen Massaker, als Viehbauern – unter britischer Herrschaft wurden viele Dinka rings um die britischen Kolonialposten sesshaft – führten sie ein verhältnismäßig abgesichertes Leben. Auch jetzt ist Geld nicht das größte Hindernis für Ahmads Pläne. Gemeinsam organisieren mehrere Dinka-Flüchtlingen von Izmir aus nach und nach ausreichend Finanzmittel, um für jeweils einen Flüchtling die nötigen 1000 Dollar für eine Überfahrt in einem der größeren Fischerboote bereitstellen zu können. Durch den Tod seines Freundes ist er nun als Nächster an der Reihe, das Geld hätte nach erfolgreicher Überfahrt nach Chios bezahlt werden sollen, nun steht es Ahmad zur Verfügung.
Doch die Überfahrt ist gefährlich, nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Schlepper – die Türkei hat kürzlich auch den Versuch des Menschenschmuggels unter eine erhebliche Gefängnisstrafe gestellt, was viele Schlepper und Fischer inzwischen von diesem ehemals lukrativen Nebenverdienst abschreckt.

Für Ahmad Alyias ist eine Rückkehr in den Sudan keine Option: Bis auf seinen Bruder Azed in Deutschland ist seine ganze ihm bekannte Familie seines Wissens tot und auch ihm droht die sichere Hinrichtung als Deserteur, sollte er in seine Heimat zurückkehren. Der einsame Darfuri kennt nur eine Richtung: Vorwärts. Im Versuch, der Sklaverei der Bürgerkriegsmilizen zu entkommen, durchlebte Ahmat eine wahre Odyssee – nur um schließlich die Tore Europas verschlossen und sich selbst erneut machtlos wiederzufinden, diesmal nicht den machetenschwingenden Mördern seiner Familie, sondern europäischen Bürokraten ausgeliefert. "Frontex hat meinen Freund auf dem Gewissen," erklärt er mir in gebrochenem Englisch, "nur aus Angst vor Frontex wurden die Flüchtlinge unter Deck eingesperrt." Seine Augen wenden sich während dieser Worte von mir ab und starren auf den Boden, während sie sich kaum bemerkbar mit Tränen füllen. Am nächsten Tage spreche ihn noch einmal kurz, gebe ihm meine Telefonnummer in Deutschland und er mir die seines Bruders. Falls er es nach Deutschland schafft, kann ich versuchen, ihm dort anwaltliche Unterstützung zu organisieren. Wieder mit mir reden will er nicht, er meidet mich von da an, grüßt nicht zurück und schaut mich nicht mehr an. Vielleicht hat er Angst, vor den Anderen zuviel erzählt zu haben? Nur zum Abschied, als ich mit dem Rucksack das Hotel verlasse, zwinkert er mir mit einem ernsten Lächeln zu und legt seine Hand aufs Herz.



Ahmad möchte nicht, dass wir Bilder von ihm machen. Wir interviewen ihn in einem Teegarten. // Ahmad does not want his pictures to be taken while we interview him in a tea-garden.


Just like their ancestors, the parents of Ahmad and Azed Alyias lived and worked as cattle farmers close to the small desert city Kutum, about forty minutes north-west of the 280k metropolis Al-Fashir in south-west Sudan. Since thousands of years, this region – today known as Darfur – has been an important base for slave traders under pharaonic, islamic or ottoman rule. They bought people who had been captured into slavery during conflicts of local settlements or tribes, if they not directly captured people from their settlements and their fields themselves. Thus, for many generations people in this area lived in permanent fear of losing freedom, being sold into far away countries for the rest of their lives.

This fear lost nothing of its actuality and topicality, due to the massive slave export still going on in 20th century under british, belgian, french and egypt occupations. Not only because there still were and are organized slave hunts and enslavement of defeated enemies long into the 21th century and even until today, but also because of the ongoing hostilities about separation, causing immense refugee movements. Sudan and South Sudan as well as the civil war region Darfur stand as the area with the most internal refugees worldwide, says Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Geneve. Nevertheless every now and then there is new proof that slavery is still prospering in this region, although the governments officially deny this sharply. Even after the ceasefire between Sudan and South Sudan, civil war is raging there with brutality and dehumanizing measures still today; men and women are expelled from their homes, desperately trying to save their bare lives.

Ahmad Alyias is one of these men. Forced into one of the civil war armies as a youth, he dared escaping under danger of life first to Egypt and then with human traffickers further north into Turkey. I meet him in a cheap Hotel in Izmir, a megacity close to the Aegean Sea, from where thousands of refugees try to get to Europe somehow. Together with my collegue and friend, Michael Kolain, I came here to meet refugees – we are investigating for a project about the paths of Syrian refugees on their way into Europe. A local refugee organisation we talked to in the morning pointed us towards the worn-out hotels around Basmane's mosque, if we wanted to talk with refugees.

Apart fom Dinka, his mother tongue, Ahmad speaks fluent Arabic and some English. To study in Finland, that is his goal, but to achieve it he would have to get there unidentified first, apply for asylum – and get it granted! "England, Germany good" he says in broken English, "student in Finland best." The thirty year old doesn't have a detailed plan, just a brother, Azed, in Germany and the next step right before his face:  To cross the Aegean Sea to get to the greek mainland and from there up to Northern Europe. "But going Europe, very dangerous. Boat dangerous. No swim. Good friend dead last week." Last week a boat sunk, about 60 refugees died – a good old friend he knew from Sudan amongst them. Ahmad cannot swim.

Ein Katze im Armenviertel Basmane. // A cat in the slum of Basmane.

In Sudan, the Alyias family wasn't poor. As members of the Dinka ethnic group, they did not belong to the main victims of the frequent massacres, as cattle farmers – under british rule, many Dinka settled around the British colonial posts – they led a decent and comparatively secured life. Even today, money is not the biggest obstacle for Ahmad's plans. Together with some other Dinka refugees in Izmir, he is organising money to pay the traffickers to get them one by one over to Greece in a more secure fisher boat: 1000 dollar per head. Because of the recent death of his friend, now he is next in the row: The money should had been paid after a successful traverse to Chios, now Ahmad can use it. But the traverse is dangerous not only for the refugees but also for the traffickers – Turkey recently passed a law penalising even the attempt of trafficking with several years, deterring traffickers and fishermen from this once profitable auxiliary income.


To Ahmad Alyias, returning to Sudan is not an option. Apart from his brother Azed in Germany, he believes his whole family dead and he is sure that in Sudan nothing awaits him but execution as a deserter in case he returns home. The lonely Darfuri knows only one direction: forward. Trying to escape enslavement by the civil war milita, he lived through a true odyssey – just to find the Gates of Europa closed and himself once more rendered powerless, this time delivered not to the machete swinging murderers of his family but to European bureaucrats. "Frontex killed my friend" he explains in broken English, "fear of frontex made captain put them underdeck". With these words, his eyes turn away from  me towards the floor and subtly fill with tears. Next day I talk to him only briefly, write down my phone number for him and that one of his brother for me. If he makes it to Germany, I can at least try to arrange for some attorney to help him. He refuses to talk with me again, avoids me from there, doesn't greet back and doesn't look at me any more. Maybe he is afraid to have been to talkative in front of all the others? Only for farewell, as I leave the hotel with my backpack, he smiles at me in a severe manner and puts his hand to his heart.

2 Kommentare:

  1. Habt ihr keine Angst, dass ihr die Menschen, die mit euch reden, in Gefahr bringen könntet?

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  2. Doch. Deswegen benutzen wir in aller Regel keine echten Namen und veröffentlichen Bilder nur mit ausdrücklicher Zustimmung...

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