Sonntag, 20. Januar 2013

Izmir V: The apocalyptic Palestinian // Der apokalyptische Palästinenser


Deutschsprachige Version: siehe unten!

“It's not just a coincidence that there hasn't been a terrorist attack in Germany yet!” – All of a sudden, this sentence gets me startled during my conversation with Rashid. The Palestinian from Gaza grins complacently and adds: “The bombs are already constructed. And believe me: They will be used in no time, given the current political situation!” The terrorist attacks like Madrid or London were not planned somewhere in the Pakistani mountains, but planned and executed by people knowing the respective sites well, their hate being nourished by specific political actions of the respective states and their their governments, Rashid elaborates. “We Arabs fight back when confronted with injustice” he says proudly.
Following Rashid, Germany used to be quite liberal and willing to help, so that other people felt respected – but this would be changing drastically right now. The German abstention from participating in the Iraq invasion being years ago now and the Germans leading an ongoing war against the Arabs in Afghanistan, the situation pictures differently now, even topped by German FRONTEX soldiers defending Europe at the Turkish-Greek border against Arab immigrants. Palestinians used to get along well with the Germans, Rashid explains a bit, Chancellor Schröder for example had an open attitude, internationally. But since the Merkel era began, Germany started to act more and more top down, with a perceivably cold attitude towards foreigners and especially migrants.

Will restrictive politics concerning the situation of refugees at the border of the EU increase the danger of terrorist attacks in Germany?

Rashid knows alot about German politics, and given that he studied in Frankfurt for five years, this is not too surprising. He is a so-called 'sleeper', always ready to use violence and sympathizing with the 9/11 attacks, interpreting them as an act of revolution against the current world order which is dominated by the western nations. “Muhammad Atta was a very straight thinker. He analyzed the situation very thoroughly and just drew the logical consequences. Well, he was a true engineer”, Rashid said a little less loud.
Rashid continues that while in the past people used to feel respect for Germany, now it had become a mere puppet of high finance. Again and again he says: “Germany is stupid. And the Palestinians are stupid as well.” He claims that just yesterday a friend entered the European Union with a forged passport for the tenth time already – which would be 1500 Dollars on the black market. He cannot understand those people who risk their lives trying to enter Europe by boat to Chios, Lesvos or Rhodos: “FRONTEX will either lacerate your face with their dogs or imprison you and let you wait for asylum forever”, he explains.
Always seriously and thoughtfully speaking, Rashid still got some kind of morbid smile playing around his lips. A smile that probably only lives on faces of people to whom death and destruction are part of daily life. When I ask him about his recommendation concerning the refugee situation, he merely snods and examines his tea glass. Until my departure, I will not understand the purpose of his stay here in Izmir. Every now and then I see him in the tea house and in the refugee hotel called 'Pasha Palace' – sometimes together with Haji, the human trafficker. In comparison to Haji, Rashid is way more careful. He knows what's at stake. And he just leaves the conversation and tells me goodbye after having said what he wanted to say.

Rashid is one of the many refugees on the streets of Izmir.


„Es ist alles andere als Zufall, dass in Deutschland bisher noch kein terroristischer Anschlag stattgefunden hat!“ – Diese Aussage bringt mich zu Beginn des Gesprächs mit Raschid zum Grübeln. Der Palästinenser aus Gaza grinst zufrieden und fügt direkt hinzu: „Die Bomben sind schon gebaut. Und glaub mir: So, wie es grad politisch aussieht, gehen die schon bald hoch!“. Terrorakte wie in Madrid oder London seien keine irgendwo in den pakistanischen Bergen geplante Attacken gewesen, sondern von Menschen vor Ort ausgeheckt durchgeführt worden. Deren Hass speise sich aus konkreten politischen Maßnahmen, dem Umgang mit Minderheiten in den Staaten, meint Raschid. „Wir Araber wehren uns, wenn uns Unrecht angetan wird“, sagt er stolz. Deutschland sei, was Flüchtlinge und Ausländer angeht, noch recht liberal und hilfsbereit gewesen, man habe sich respektiert gefühlt – doch das ändere sich gerade drastisch. Der Bonus, die Irak-Invasion nicht unterstützt zu haben, sei mittlerweile aufgebraucht: Deutsche FRONTEX-Soldaten an der türkisch-griechischen Grenze und der anhaltende Krieg in Afghanistan hätten dies schon lange aufgewogen. Die Palästinenser mochten Deutschland eigentlich immer sehr gerne, sagt Raschid – Schröder habe viel mit Ausländern gearbeitet, doch seit der Ära Merkel werde nur noch von oben herab gearbeitet,  mit einer spürbaren Kälte gegenüber Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund.

When I ask Rashid about his recommendation concerning the refugee situation, he merely snods and examines his tea glass.


Raschid kennt sich gut aus in der deutschen Politik, schließlich hat er fünf Jahre in Frankfurt studiert. 'Schläfer' könnte man ihn nennen. Gewaltbereit ist er und Sympathie für die Anschläge des 11. Septembers hat er auch – er sieht sie als Akt der Revolte gegen die vom Westen dominierte Weltordnung. „Mohammed Atta war ein sehr durchdachter Mann. Er analysierte die Lage genau und zog die daraus folgenden Konsequenzen. Ein Ingenieur eben“, sagt Raschid etwas leiser.
Vor Deutschland habe man früher noch Respekt gehabt, doch jetzt sei die deutsche Politik nichts weiter als eine Marionette des Großkapitals. Immer wieder sagt Rashid: „Deutschland ist dumm – und die Palästinenser auch“. Ein Freund von ihm sei gestern zum zehnten Mal mit seinem gefälschten deutschen Pass (Kostenpunkt auf dem Schwarzmarkt: 1500 Dollar) in die Europäische Union eingereist. Über die Leute, die mit dem Boot nach Chios, Lesbos oder Rhodos übersetzen wollen und sich dabei in Lebensgefahr begeben, kann er nur den Kopf schütteln. „Die zerfetzen Dir mit den Hunden entweder Dein Gesicht oder sie sperren Dich ein und lassen Dich während des Wartens auf Asyl am langen Arm verzweifeln“, meint Raschid.
Er spricht stets ernst und durchdacht, hat dabei aber oft ein morbides Lächeln auf den Lippen, wie es wohl nur Leute zulassen können, für die Tod und Verderben keine Fremdworte sind. Als ich ihn danach frage, was aus seiner Sicht die Lösung für die Flüchtlingsproblematik ist, lacht er nur abfällig und widmet sich seinem Tee. Was genau er eigentlich in Izmir macht, bleibt unklar. Immer wieder sehe ich ihn nach unserem Gespräch im Teehaus im Pascha-Palast, dem Flüchtlingshotel, ein- und ausgehen. Ob auch er Menschenschlepper ist? Auch mit Haci sehe ich ihn öfter. Im Gegensatz zu Haci ist Raschid aber viel zurückhaltender. Er weiß, was auf dem Spiel steht, und das lässt er auch mich spüren, als er sich gelassen verabschiedet, nachdem er gesagt hat, was ihm auf dem Herzen lag.

Freitag, 9. November 2012

Izmir IV: Das hämophile Kind // The haemophiliac child


English translation: see below

Europa ist bislang nicht bereit, syrische Flüchtlinge, die momentan als Binnenflüchtlinge in Syrien oder in den Auffanglagern der Nachbarstaaten leben, aufzunehmen. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle äußerte sich jedoch kürzlich dahingehend, dass Deutschland im Prinzip bereit sei, „Flüchtlinge bei uns aufzunehmen, zum Beispiel zu medizinischen Behandlungen. Und das wird auch geschehen.“ [1] Ein solches Vorgehen könne es jedoch nur als gemeinsames Vorgehen der EU und in Absprache mit den Vereinten Nationen geben. Ist der Verweis auf ein koordiniertes Vorgehen mit der EU und den UN eine Aufschiebetaktik, um nicht in die Bredouille zu geraten, Worten auch Taten folgen lassen zu müssen oder gibt es tatsächlich diplomatische Bestrebungen, eine medizinische Notversorgung zu gewährleisten? So oder so, an den europäischen Außengrenzen besteht akuter Handlungsbedarf.

Loran Shamdin ist zwei Jahre alt und leidet unter Hämophilie, auch als „Bluterkrankheit“ bekannt. Der kleine Junge ist blass, die krausen Locken fallen in ein gezeichnetes Gesicht. Etwas Weises liegt in seinem Blick, während er geistesabwesend mit der Gebetskette seines Vaters spielt. Wir sitzen auf den Stufen einer Billigabsteige im Stadteil Basmane in Izmir, einer Großstadt an der türkischen Agäis. Lorans Familie kommt aus den kurdischen Gebieten in Syrien und ist wegen der Kampfhandlungen, die auf Demonstrationen gegen Machthaber Assad folgten, in die Türkei geflohen. Die Eltern und ihre drei Kinder fuhren über die Grenze in die kurdischen Gebiete Iraks, um dann nachts den Grenzfluss zur Türkei zu überqueren und einen Bus nach Izmir zu nehmen. Sie hatten gehört, dass dort die europäische Grenze nicht weit sei – und außerdem herrsche dort ein für die Türkei verhältnismäßig tolerantes Klima gegenüber Kurden.

Loran (Mitte) und sein Vater warten schon wochenlang darauf, dass etwas passiert. // Since weeks, Loran (center) and his father are waiting for something to happen.
Die Kurdenfrage in der Türkei ist weiterhin ungelöst. Zwar ist unter der Regierung des konservativen AKP-Ministerpräsident Erdogan einiges unternommen worden, um die kulturellen Rechte der Kurden zu verbessern – kurdische Fernsehsender wurden genehmigt und es gibt offenbar sogar vereinzelt kurdischsprachigen Schulunterricht. Eine umfassende Anerkennung kurdischer kultureller oder gar politischer Identität, wie sie von vielen kurdischen Gruppen gefordert werden, jedoch ist weiterhin nicht absehbar. Während der Regierungsperioden der kemalistischen CHP war meist wenig Platz für kurdische Fragen, zu sehr hing man an den vermeintlichen Vorgaben des allgegenwärtigen Idols: Staatsgründer Atatürk hatte ganz bewusst das Türkentum als Identifikationsnukleus für die 1923 gegründete Republik gewählt, um dem islamischen Sultanat, das religiöse und politische Führung in einer Person vereinte, etwas entgegenzustellen. Für Kurdentum war kein Platz.

In den 70er und 80er Jahren wurde dann verstärkt gegen kurdische Autonomiebestrebungen vorgegangen: Wer kurdisch sprach, schrieb oder auch nur ein kritisches Wort gegenüber der Zentralregierung verlor, lief Gefahr, eingesperrt und gefoltert zu werden. Nach Jahren der Assimilation sprechen mittlerweile viele junge kurdischstämmige Türken ihre Muttersprache nicht mehr. Auch wenn Erdogans AKP tendenziell eher für eine muslimisch-liberale statt nationaltürkische Identität steht: Das auf die Hauptstadt Ankara zentrierte Regierungssystem der Türkei lässt dezentralere Strukturen nach wie vor kaum zu, wie sie nötig wären, um den kulturellen und politischen Eigenheiten des kurdischen Südostens gerecht zu werden. Die politische Türkei wird von Istanbul, Ankara und Izmir aus dominiert.

Die kurdischen Gebiete erstrecken sich über Teile der Türkei, Irans, Iraks und Syriens. Im Laufe des Jahres 2011 hat die syrische Armee ihre Präsenz im kurdischen Nordosten aufgegeben, verschiedene kurdische Gruppen organisieren sich nun dort und nutzen das Machtvakuum, um in Kooperation mit Kurden im teilautonomen Nordirak Fakten zu ihren Gunsten zu schaffen. Die PKK und ihr syrisches Pendant, die PYU, kontrollieren einen Großteil der dortigen Gebiete und Grenzen. Das gefällt der türkischen Regierung natürlich gar nicht. Man befürchtet ein Wiederaufflammen der kurdischen Autonomiebestrebungen und will das Kurdenthema am liebsten unter den Tisch kehren. Dass syrische Kurden scharenweise in der Türkei Schutz suchen, passt nicht in das Konzept dieser Politik. Izmir war jedoch schon in den 80er Jahren eine der wichtigsten Städte für die wenigen Kurden im Westen der Türkei: Als Handelszentrum versprach es Arbeit, als Hafenstadt eine schöne Lage am Meer und als moderne Stadt die notwendige kulturelle Toleranz – nun gewinnt auch die geographische Nähe zu Europa vermehrt an Gewicht.

Lorans Vater zeigt das Schreiben mit dem medizinischen Befund eines Krankenhauses in Izmir. //  Loran's father displays the letter with the diagnostic findings of a hospital in Izmir
Loran Shamdin und seine Eltern sind in Izmir als Flüchtlinge registriert und haben aufgrunddessen auch das Recht auf medizinische Versorgung – zumindest in der Theorie. Demet Gül von der Flüchtlingsorganisation Mültecin Der in Izmir erklärt uns jedoch, dass es immensen bürokratischen Aufwands bedürfe, diesem Recht auch zur Umsetzung zu verhelfen: In der Realität würde fast kein Flüchtling medizinisch versorgt, die Zuzahlungen in Krankenhäusern seien für Flüchtlinge besonders hoch. Loran ist mit seiner Hämophilie zwar bei der Gesundheitsbehörde registriert, vom türkischen Staat wird jedoch nichts weiter unternommen. So harren seine Eltern aus und hoffen, dass es zu keinen Zwischenfällen kommt, denn eine nächtliche Flucht über den Landweg ist angesichts der Gefahren durch Wassergräben, Hunde, Dornen und Zäune ausgeschlossen: Wenn Loran sich auch nur leicht verletzte, würde das seinen sicheren Tod bedeuten. Auch mit den Booten der Menschenschlepper wollen sie nicht fahren, da niemand in der Familie wirklich schwimmen kann. Immer wieder fragen sie uns, ob Europa nicht helfen könne und wir können immer wieder nur sagen: Wenn ihr es irgendwie nach Deutschland schafft, dann könnt ihr dort Asyl beantragen und medizinische Versorgung erhalten. Von Izmir aus besteht jedoch leider derzeit keine Möglichkeit, euch zu helfen.

Eine absurde Situation: Wer es illegal über die Grenze schafft, kann Asyl beantragen und wird erst mal geduldet. Wie so oft, schaffen es die Mutigen, Jungen und Starken – die Alten, Kinder und Schwachen jedoch bleiben auf der Strecke. Würden ernsthafte Bemühungen bestehen, syrische Flüchtlinge medizinisch zu behandeln, so bedürfte es konkreter Anlaufstellen für Hilfesuchende. Doch die gibt es nicht. Mültecin Der ist eine der wenigen aktiven Nichtregierungsoranisationen und ihre Einschätzung ist ernüchternd: In der Türkei gibt es kein Asylgesetz und damit keine Regelung der Rechte von Flüchtlingen. Alles werde aufgrund von Verordnungen der Exekutive gehandhabt, weshalb Rechtsunsicherheit und Willkür herrsche. Man könne keine klare Auskunft geben. Auch die internationale Flüchtlingsstelle UNHCR sei überfordert und nicht immer da, wenn es um konkrete Hilfe wie im Falle Lorans geht.

Genau für einen solchen Fall wie den von Loran Shamdin bedürfe es einer europäischen Initiative, meint Demet Gül von Mültecin Der. Europa müsse Geld in Hand nehmen, es müsse eine politische Entscheidung und deren konkrete Umsetzung geben. Solange dies nicht geschehe, werde faktisch alle Verantwortung an die türkischen Behörden abgeschoben, welche weder gesetzlich verpflichtet, noch faktisch in der Lage sind, zu helfen. Mültecin Der lobbyiert schon seit zwei Jahren für die baldige Umsetzung der angekündigten Asylgesetzs, doch die Abstimmung darüber ist zuletzt (vielleicht gerade angesichts der schwierigen Flüchtlingssituation) immer wieder verschoben worden.

Wir unterhalten uns gegenüber dem Hotel mit Lorans Familie und anderen syrischen Flüchtlingen. // Sitting and talking with Loran's family and other Syrian refugees over the road from the hotel.

Loran und seine Familie sind so die Leidtragenden einer verfahrenen und absurden Situation, die sich durch die Versprechungen des deutschen Außenministers Westerwelle nicht geändert hat. Dazu müsste er seinen Worten auch Taten folgen lassen. Im Fall von Loran Shamdin wäre es verhältnismäßig unkompliziert, die Familie über Mültecin Der in Izmir zu lokalisieren und sie über die deutsche Botschaft zur medizinischen Versorgung in die Bundesrepublik schaffen zu lassen. Solange das nicht geschicht, sind Westerwelles Worte leider nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Until now, Europe is not willing to give asylum to Syrian refugees, most of them internally displaced and some taking refuge in the neighbouring countries' camps. Nevertheless, German foreign minister Guido Westerwelle recently said Germany would be willing to "accomodate refugees, e.g. for medical treatment. This is going to happen." [1] This could, however, only be a conjoint line of action, including European Union and United Nations. Should this reference to the necessity of a coordinated approach be assessed as an excuse so not to have to actually act on that promise or are there existing diplomatic affords to grant a medical emergency treatment? Anyhow, at the borders of Europe there is a need for immediate action.

Loran Shamdin is two years old and is suffering from haemophilia, commonly known as "bleeding disorder". The small boy looks pale, his frizzy curls hanging in his marked face. Something wise dwells in his deep gaze, as he is absentmindedly playing with his father prayer beads. We are sitting on the steps of a cheap hotel in the middle of Basmane, the poorer quarter of Izmir, a metropolis at the Turkish Aegean Sea. Because of the civil war following up the mass protests and rallies against Assad, Loran's family fled from the Kurdish areas in Syria into Turkey. The parents and their three kids went into northern Iraqi Kurdistan first in order to cross the border river to Turkey at night and from there take a bus to Izmir. They had heard from there it wouldn't be far to Europe – and, moreover, they would find the most tolerant climate possible in Turkey towards the Kurdish.

The Kurdish issue still remains unsolved in Turkey. Sure, the Erdogan government of the AKP brought some measure on the way in order to improve cultural rights of Kurdish people – such as licensing of Kurdish television or even some allowance for school education in Kurdish language. Yet still, a comprehensive recognition of Kurdish cultural or even political identity, as demanded by many Kurdish groups, is not to be expected soon. During the rule of the Kemalist CHP there was barely space for Kurdish matters, way too strict they adhered to the guidelines of the all-time-present idol: Founder of state, Kemal Atatürk, had chosen the Turkdom as an identification nucleus quite intentionally, when in 1923 the Turkish republic was founded. He needed to establish a new counter-identity able to successfully oppose the islamic sultanate which used to combine religious and political leadership in the same person. So there was no space left for Kurdity.

Later in the 70's and 80's there was much resistance against Kurdish efforts for autonomy. Who was speaking or writing Kurdish or dared to criticize the central government was in danger to be imprisoned and tortured. After years of assimilation, many young Turks with Kurdish origin don't speak their language anymore. Although Erdogan and his AKP might stand for a moderate muslim and liberal rather than for a Turk nationalist identity, the governmental system of Turkey is still centred towards Ankara, not providing for more decentralized structures as they would be necessary in order to allow for the cultural and political specifics and distinctions of the Kurdish south-east. The political Turkey is still being run from Istanbul, Ankara and Izmir.

The Kurdish area covers wide parts of Turkey, Iran, Iraq and Syria. In 2011, the Syrian army withdrew from the country's north-east and several Kurdish groups took over. They are reorganizing and use the vacuum of power in order to factualize the situation to their advance, in cooperation with Kurdish groups from the partly autonomous Kurdistan in northern Iraq. The PKK and their Syrian counterpart, the PYU, control the most part of the north-east Syrian region and it's borders. Of course this is not to the liking of the Turkish government, for they fear a reinflammation of the Kurdish struggles for autonomy they want to rather draw the curtain over. Thousands of Kurdish Syrians, seeking asylum in Turkey – they does not fit in this policy. However, since the 80's, Izmir has been one of the most important cities for Kurds in western Turkey.: As a center of trade it was promising jobs, as a harbour city a proximity to the sea and as a modern city a certain cultural tolerance – meanwhile, the geographical proximity to Europe gains weight for them as well.

Loran Shamdin and his parents are registered as refugees and thus have a right to medical treatment – at least in theory. Demet Gül from the refugee organisation Mültecin Der explains to us the immense bureaucratic afford which is needed to put this right to realisation: In reality, almost none of the refugees are medically cared for, the extra payment is especially high for refugees. Loran's haemophilia is registrated with the health authorities, nevertheless, from the part of goverment there are no steps expected to be taken. Thus, his parents persevere in Izmir and hope that there would be no incidents. A nightly escape through the land border's water ditches, barb wires, thorns and watch dogs is just impossible: Just a single scratch could cost Loran's life. The human trafficker's boats are not an option either, for none of the family can actually swim. So they ask us again and again whether Europe could help them and we have to answer again and again that our hands are bound. Only if you make it to Germany, then you can apply for asylum there and get medical treatment for Loran. But that is way too dangerous and from here, from Izmir, it is impossible for us to help you right now, because of the political and juridical situation in Europe.

It's an absurd and almost gross situation: Who makes it across the border illegally, will be able to apply for asylum and will be tolerated for now. As always, the brave, young, strong make it – the old, too young and the weak stay behind. If there would be serious efforts to help Syrian refugees medically, there would be need for specific contact bureaus for people in need for help. But there are none. Mültecin Der is one of the few active non-governmental refugee relief organisations and their assessment of the situation is disillusioning: There is no legislation on asylum in Turkey, an asylum law simply doesn't exist, and thus there is no official interpretation of refugee's right. Refugees are being dealt with only according to executive decrees, which is causing uncertainty of law and arbitrariness of action. It is impossible to give authoritative and reliable information as to legal status and treatment, even the international refugee office UNHCR is unable to cope with the situation, especially when asked for practical help as in Loran's case.

Exactly for such a case as that of Loran Shamdin there is need for a European initiative, says Demet Gül of Mültecin Der. Europe would have to make a political decision, followed by investing some money into it's implementation. As long as this does not happen, as long as Europe keeps abdicating from it's responsibility, Turkish officials will stay solely responsible, confronted with a situation where they are neither lawfully obliged nor financially enabled to act and help. Since almost two years, Mültecin Der is lobbying towards a speedy implementation of the promised asylum law, but just recently the vote about it was adjourned once more, possibly just due to the current refugee situation.

Thus, Loran and his family remain the ones who suffer from an intricate and absurd situation that has not changed a bit with the obove mentioned statement of German minister of foreign affairs Guide Westerwelle. To achieve a factual change in that situation, he would have to actually act instead of only talking about helping. In the given case of Loran Shamdin, it would be comparatively uncomplicated to contact the family via Mültecin Der and to bring them to Germany for medical treament via the German embassy. As long as that doesnt happen, Westerwelle's words are not even a drop in the bucket.


Dienstag, 6. November 2012

Izmir III: Der redselige Schlepper // The talkative trafficker

English version: see below

Der „Pascha-Palast“ ist eine heruntergekommene Absteige, in der sich Flüchtlinge und arme Reisende die Klinke in die Hand geben. Man trifft auf eritreische Kindersoldatinnen, paschtunische Talibangegner, entkommene Sklaven, syrisch-kurdische Intellektuelle – und ab und zu verirrt sich auch mal der ein oder andere westliche Journalist hierher. Die Bediensteten reichen einen cay, falls auf einem der abgesessenen Polstermöbel in der Lobby Platz genommen wird. Sobald ein Gast sitzt, gesellen sich schnell andere hinzu und ein Gespräch beginnt. Während sich drei afrikanische Männer lauthals in ihrem Zimmer im ersten Stock streiten, starrt ein kahlgeschorener Afghane auf die Nachrichten im türkischen Fernsehen.

Hismet schaut wie jeden Tag auch heute auf seinem Morgenspaziergang durch den Stadtteil Basmane im Pascha-Palast vorbei. Hismet ist Menschenschlepper. Erst vor einem Monat wurde er nach zwei Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, er war im Vorfeld eines geplanten Boots-Transfers festgenommen worden. Die erhöhten Strafen für Menschenschmuggel in der Türkei ärgern ihn zwar, doch halten sie ihn nicht davon ab, weiter nach potentiellen Kunden Ausschau zu halten. "Frischfleisch", denkt er sich, als sein Blick auf Abru fällt, einen jungen Palästinenser, der sich gerade auf einen der plüschroten Sessel gefläzt hat und auf den ersten Tee des Tages wartet.

Wie gewohnt geht Hismets Gang als erstes nach hinten ins nobel ausgestatte Büro des Hotelbesitzer Yilmaz. Der großgewachsene, dicke Mann mit stattlichem Bart legt seinen mit einer osmanischen Kalligraphie versehenen Arm um den Neuankömmling und bringt ihn nach ein paar Worten zurück in die Lobby, wo er mit einem leichtem Kopfnicken zwei cay herbeikommen lässt. Unauffällig blickt Hismet hinüber zu Abru. Yilmaz gibt ihm mit einem kurzen Augenzwinkern zu verstehen, dass jener auf der Suche nach einem Boot sei. Ein leichtes Lächeln huscht über Hismets Gesicht als er aufsteht und sich mit leichter Verbeugung und warmem Händedruck vorstellt. Er fackelt nicht lange und sagt auf arabisch, dass er "Schmuggler" sei und Abru gerne auf einen Tee einladen wolle. Dieser sagt erfreut zu. 

Potentielle Kunden für Hismet gibt es in Izmir genug // There is no lack of customers for Hismet's business in Izmir

Auf dem Platz vor der Hatuniye Moschee herrscht munteres Treiben. Vereinzelt sitzen alte Männer auf den Parkbänken und starren Löcher in die Luft. Der irre Hüseyin läuft klatschend und jubelnd die Marktstraße hinab und wirft einer am Bordsteinrand kauernden syrischen Familie fünf Lira vor die Füße. Im Vorbeigehen steckt Hismet dem kranken Kurtulus eine Zigarette hin, die dieser mit seinen verwundeten Händen in den Mund schiebt und sich zittrig anstecken lässt - mit dem Ausatmen haucht er ein schwaches tesekürler hervor. Basmane ist voll von gezeichneten Menschen. Im Karadeniz Kiraathanesi sitzen bereits Hismets Handlanger Murat und Kemal. Abru ist nervös, als er die beiden anderen sieht und greift dennoch bereitwillig zu, als Hismet ihm eine Bensons anbietet.

„Du willst also nach Europa?“, fragt der etwas knöchrige Kemal geradeheraus. „Ja, nach Frankfurt, will ich, in Deutschland. Da hab ich mal studiert und dahin will ich wieder zurück“, antwortet Abru und fügt zögernd hinzu: „Eigentlich wollte ich oben in Griechenland über den Evros, aber meinem Kumpel Masar wurde dort vor ein paar Wochen von einem Hund das Gesicht zerbissen. Vielleicht ist es mit dem Boot doch leichter.“ Murat, der gar nicht richtig zugehört hat, sagt seinen Standardsatz: „Der Spaß kostet Dich 1000 Dollar. Keine Verhandlungsbasis. Wir bringen Dich auf eine griechische Insel und Basta. Die Hälfte zahlst Du vorab, den Rest bei Ankunft. Tamam?“ – Abru wirft die noch nicht ganz abgebrannte Zigarette wahllos auf den Boden und nippt an seinem Glas Tee. „Ich zahle erst dann, wenn ich meinen Fuß auf europäischen Boden gesetzt habe.“

Jetzt ist Hismet dran, ein Machtwort muss her: „Hör mal zu, Bruder. Wir müssen schließlich auch den Bootskapitän zahlen und ein Boot leihen. Glaubst Du etwa, das bezahlt sich von selbst? Junge, ich bin gerade erst aus dem Knast raus und glaub mir, ich nehm kein Geld mehr in die Hand für arme Schlucker.“ Abru legt eine Lira-Münze auf den Tisch und steht auf: „Ich überlegs mir!“ Die drei Schlepper grinsen sich zu, als der junge Mann sich auf den Rückweg zum Hotel macht. „Der weiß wohl noch nix von dem gesunken Boot mit den Syrern“, raunt Kemal in die Runde.

Vor zwei Wochen ist ein Boot gerade mal 50 Meter von der griechischen Grenze auf Grund gelaufen und gesunken, dabei sind etwa 60 der 100 Insassen zu Tode gekommen. Weil sie nicht schwimmen konnten oder unter Deck eingesperrt waren. Seitdem ist der Umsatz von Hismet stark nach unten gegangen, auch die türkische Polizei patrouilliert seitdem verstärkt. „Langsam muss Kohle her, meine Frau macht langsam schon Druck zuhause. Die drei Schwarzen sind auf jeden Fall dabei. Die zahlen zwar erst am Ende – aber die haben die Asche, das weiß ich.“ Er wendet sich an den schmächtigen Kemal mit dem sauber gebügelten Hemd. „Kemal, fahr morgen bitte runter zum Hafen und red mit dem Kapitän, ob der auch schon mit der Hälfte vorab leben kann. Dieser Halsabschneider will ja tatsächlich 15.000 Dollar für Boot und Kapitän. Versuch ihn auf 12.000 runterzuhandeln. Sonst bleibt ja kaum mehr was für uns übrig. Sag ihm das ruhig. Ich geh doch für 2.000 Dollar nicht weitere drei bis acht Jahre in den Bau!“

Wütend steht der stämmige Mann mit dem dichten Dreitagebart auf und ignoriert geflissentlich, dass der kleine Hocker rücklinks umfällt. Er drückt dem Kellner fünf Lira in die Hand und setzt sich gedankenverloren in Richtung Moschee ab. Zeit zum Beten. Der Muezzin fängt an zu rufen, als Hismet sich die Schuhe auszieht und mit der rituellen Waschung beginnt.

Essensausgabe an syrische Flüchtlinge // Food bank for syrian refugees

The Pasha Palace is a scruffy fleabag where refugees and poor travellers flock together. You can find here Eritrean child soldiers, Pashtun rebels, Darfuri slaves and Kurdish-Syrian intellectuals, occasionally one or two western journalists as well. The employees bring a cay, if one sits down on one of the worn-out couches in the lobby. Once sitting and drinking, others join in no time and, usually, a vivid conversation starts. As three black African men argue loudly in their room upstairs, a bald-headed Afghan stares at the news in Turkish television.

As every day, Hismet is on his morning walk through the quarter Basmane and drops in at the Pasha Palace's. He is a human trafficker. Just one month ago, he was released from jail after two years of prison; he had been captured in the run-up to a planned refugee boat transfer. The increased penalties for human trafficking in Turkey bother him, yet still they don't keep him from looking for prospective clients. “Fresh meat” he thinks, as he sees Abru, a young Palestinian lolling on the worn-out red couch in the lobby, waiting for the first tea of the day.

As usual, Hismet's first steps in the hotel lead him into the rather luxuriously furnished office of the hotel owner, Yilmaz. The tall and bulky Turk with a stately moustache puts his arm, which is decorated with a Osman calligraphy, around the new arrival and after some words takes him back to the lobby, where he orders two cay with a subtle nodd of his head. Hismet looks unobtrusively at Abru and Yilmaz signifies him with a slight twinkle of his eye that the Afghan would be looking for a boat. A barely noticeable smile spreads on Hismet's face as he rises and introduced himself with a warm hand shake. Not vacillating, he says in Arabic that he is a “Smuggler” and would like to invite Abru for a tea outside. The young Afghan agrees with pleasure.

On the square in front of the Hatuniye mosque there's vivid coming and going. Every now and there some old men sit on benches in the park and stare off into space. The crazy Hüseyin runs down the market street, throwing five Lira at a Syrian family cowering against the curb, while he is clapping and cheering. As Hismet walks past the sick Kurtulus and offers him a cigarette, the latter puts it to his mouth with wounded fingers, looking up to Hismet, tremulously and without words asking for a lighter. Breathing out the first puff of smoke, he is uttering a feint teshekürler, “thanks”. Basmane is full of these worn-out persons marked by life. In Karadeniz Kirathanesi, Hismet's helpers Murat and Kemal are already waiting. Seeing them, at first Abru gets nervous, but then he takes the offered Benson's. 



“So you want to get to Europe?” the boney Kemal asks rightaway. “Yes, I want to go to Frankfurt, in Germany. I once studied there and I want to go back there”, Abru answers and adds with a slight hesitation: “I was planning on crossing the Evros river at the border to Greece, but a buddy of mine had his whole face bitten by dogs there, some weeks ago. So perhaps it is easier with a boat?” Murat, who hadn't really followed what Ebru was saying, answers with his standard response: “It's 1000 Dollar. No bargaining. We just take you to a Greek island and nothing else. Half the money you pay in advance and half when you get there. Tamam?” – Abru snips the half smoked cigarette to the ground and takes a sip from his tea glass. “I won't pay before I reach European territory.”

Now it's Hismet's turn to put his foot down. “Listen closely, brother. We have to pay for boat and crew. Do you think they pop out of thin air? Boy, I was just released from jail and you can believe me, I am not going to pay for poor dreamer's bills!” Abru puts a Lira coin on the table and rises. “I will consider it.” The three traffickers smile at each other, as the young man walks back to the hotel. “Obviously he hasn't heard yet of the sunken boat with the Syrians”, Kemal whispers.

Two weeks ago, a fishing boat run onto ground barely 50 metres away from the Greek shores, it sank. About 60 of the 100 passengers died, either because they couldn't swim or because they were locked under deck. Since that day, Hismet's business went down the river, Turkish police is also increasedly patrouilling the area now. “I need the money soon. My wife complains everyday. The three Africans are in, and they got the bucks, I know, although they will pay only in case of success.” He turns towards the slim Kemal with the clean and ironed shirt. “Kemal, please drive down to the harbour tomorrow and talk to the Captain. Maybe he can live with only half in advance? This cutthroat really wants 15 000 dollars for boat and crew, so try to bargain for 12 000, otherwise there will be nothing left for us. You can tell him that! I won't risk another two to eight years of prison just for some 2 000 dollars!”

The bulky man with a thin beard rises angrily, stately ignoring that the stool he was sitting on is falling backward onto the street. Throwing five Lira into the servant's hand, he walks away towards the mosque, absorbed in thoughts. Prayer time. The muezzin begins to call, as Hismet takes off his shoes and starts the ritual washing.